Der Kapitelsaal des Klosters Vyšší Brod
Der Klosterkomplex in Vyšší Brod mit anliegenden Gebäuden ist kein Werk einheitlicher Bauarbeiten. Aus schriftlichen Berichten tritt im Gegenteil ein Bild allmählichen und langfristigen Bauens dieses Komplexes von Gebäuden hervor. Für den ältesten Teil wird die Sakristei gehalten, die im östlichen Flügel des Konvents zwischen der Kirche und dem Kapitelsaal liegt. Ihr Bau, wie J. Čechura feststellte, hatte ursprünglich zwei Stockwerke, ähnlich wie die Kapelle der Schutzengel in Zlatá Koruna. Im ursprünglichen Zustand blieb nur das Erdgeschoss erhalten, das jetzt als Sakristei der Kirche dient. Die war ursprünglich eine kleine selbstständige Kirche. Es ging hier wahrscheinlich um eine Abtkapelle, die vor der Fertigstellung des östlichen Teils auch für den ganzen Konvent diente. Hinsichtlich der Platzierung ist vorauszusetzen, dass sie nach der Fertigstellung des östlichen Teils der Kirche die Funktion eines Armariums hatte, das in Zisterzienserklöstern in der Regel so situiert war.
Der funktionsmäßig bedeutendste und zugleich architektonisch wertvollste Raum ist der Kapitelsaal, der an der Südseite der Sakristei liegt. Der Raum des Kapitelsaals spielte im Leben des Vyšebroder Zisterzienserklosters eine bedeutende Rolle. Täglich fanden hier Versammlungen aller Mönche statt, es wurden hier Ordensregeln gelesen und es fanden hier wichtige Verhandlungen einschließlich der Wahl der Äbte statt. Der Abt saß an der Ostwand gegenüber dem Eingang und auf seinen Seiten saßen die Mitglieder des Konvents nach ihrem Rang. Das Licht dringt ins Innere des Kapitelsaals von Osten durch drei Fenster ein. Das mittlere Fenster ist rund mit einem reichen Maßwerk, das von Rosettenfenstern der französischen Kathedralgotik der klassischen Zeit ausgeht. Im Vergleich mit den Maßen des Kapitelsaals ist die Rosette in Vyšší Brod groß und nimmt einen wesentlichen Teil der Höhe der Mauer ein. Sie ist um so ideenreicher und wirkungsvoller. Die Anbringung des runden Fensters in der östlichen Mauer des Kapitelsaals hängt damit zusammen, dass vor ihm der Platz des Abtes war.
Es ist offenbar, dass der Schöpfer des Kapitelsaals den Stil der nordfranzösischen Gotik kannte. Sie ist voll von architektonischen sowie zierlichen Spielen und Ideen. In der Zeit, als das Kloster Vyšší Brod gegründet wurde und als seine ältesten Bauten wuchsen, begannen in die böhmischen Länder Widerhalle der nordfranzösischen Gotik durchzudringen, die in den Formen des naturalistischen Dekors, der Fenstermaßwerke, aber auch in der Gestaltung höherer struktureller Komplexe zum Ausdruck kamen. Die Wurzeln des Stilausdrucks des ältesten Teils des Vyšebroder Klosters wurden in der Kunst Hessens gesucht, die die Anlässe der nordfranzösischen Gotik sehr lebendig assimilierte.
Das wohl Sehenswerteste am Kapitelsaal in Vyšší Brod in der geschichtlichen Entwicklung der böhmischen Architektur ist die bereits erwähnte Form seines Gewölbesystems. Wir verzeichnen hier eine markante Verkleinerung und Formenverwandlungen, die Stilverschiebung ist hier sichtbar. Auffällig ist besonders die Zartheit, Feinheit und Subtilität aller Elemente. Dadurch unterscheidet sich diese Architektur am markantesten von älteren Bauten, für die plastische und robuste Elemente charakteristisch waren. Der Raum des Kapitelsaals in seiner Gesamtheit macht einen ausgedehnten Eindruck. Das ist sowohl durch seine Zentralität, als auch dadurch gegeben, dass die Gewölbe nicht zu hoch sind.
Der Vyšebroder Kapitelsaal ist voll von architektonischen sowie Zierspielen und Ideen. Mit seiner außergewöhnlichen bildenden Raffinesse und reichen Gestaltung ist es zweifellos noble Architektur höfischen Charakters. Der ganze Raum des Kapitelsaals ist mit einem ikonografischen Programm beseelt, das wahrscheinlich ein Ausdruck einer tieferen Ideenabsicht ist. Die Gewölbekonsolen mit pflanzlichen Elementen und zoomorphen Motiven konnten wohl eine Illusion des von Pflanzen, Tieren und Vögeln vollen Paradieses sein. Bestandteil dieser Welt sind auch die Lammköpfe auf dem Mittelpfeiler, die höchstwahrscheinlich die Christen und die Christengemeinde personifizieren. Der Mittelpfeiler, in seinem oberen Teil mit im Stein gehauenem Laub "umhüllt", vertritt wahrscheinlich den Baum des Lebens. Eine bedeutende Rolle kann hier auch die kreisförmige Rosette spielen, die in ikonografischen Programmen der Kathedralen in der Regel Symbol der Sonne war. Diese Welt ist dem Willen Gottes untergestellt, ikonografisch mit Motiven in Gewölbeschlusssteinen dargestellt. Die aus der Wolke segnende Hand ist eine Illusion Gottes des Vaters, das Relief des Lämmchens im zweiten Schlussstein symbolisiert dann Gott den Sohn. Der ideologische Ausgangspunkt des ikonografischen Programms von diesem Raum war wahrscheinlich die mittelalterliche Vorstellung vom Weltall.
(fs)
Weitere Informationen:
Geschichte
der Region Vyšší Brod
Kloster
Vyšší Brod
Vyšší
Brod
Geschichte
der Architektur in der Region Český Krumlov
Das
Leben im Kloster Vyšší Brod
Die
Klosterapotheke in Vyšší Brod
Die
ältesten Handschriften des Klosters Vyšší Brod